BGer 1B_481/2012: Rückwirkende Identifikation eines Internetanschlusses zulässig


Das Bundesgericht entschied mit Urteil vom 22.01.2013 (Az. 1B_481/2012), dass die rückwirkende Identifikation eines Internet-Anschlusses (IP-Adresse) bei einem Internetprovider wegen des Verdachts einer Straftat gestützt auf Art. 14 Abs. 4 Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) auch noch nach Ablauf von 6 Monaten, seitdem die Daten über das Internet ausgetauscht wurden, zulässig ist.

Sachverhalt:
Bei einem in Deutschland Beschuldigten seien Videos und Bilder in elektronischer Form gefunden worden, welche kinderpornographische Inhalte aufwiesen. Im Rahmen der Ermittlungen der deutschen Strafverfolgungsbehörden seien mehrere weitere Personen ausfindig gemacht worden, die diese Dateien über das Internet untereinander austauschten. Hierbei habe ein Teilnehmer zwischen 2. Juni und 20. Juli 2011 einen Internetanschluss in der Schweiz bzw. eine IP-Adresse in der Schweiz verwendet.

Aufgrund dieses Sachverhalts stellte die Oberstaatsanwaltschaft Köln am 8. August 2012 an die Schweizer Behörden ein Strafübernahmeersuchen. Daraufhin hat die Staatsanwalt Brugg-Zurzach eine Strafuntersuchung wegen Kinderpornographie gegen unbekannte Täterschaft eingeleitet. Am 13. August 2012 verfügte sie eine rückwirkende Internetteilnehmeridentifikation der in Betracht kommenden IP-Adresse für den fraglichen Zeitraum.

Erwägungen
Die Vorinstanz (Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau) versagte der Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 273 Abs. 3 StPO die Identifikation von Randdaten der fraglichen IP-Adresse, da die sechsmonatige Frist nach Art. 273 Abs. 3 Strafprozessordnung (StPO) abgelaufen sei. Die Staatsanwaltschaft vertrat demgegenüber folgende Ansicht:

„(…)die Sechsmonats-Regel stelle keine „Gültigkeitsvorschrift“ für die Zulässigkeit einer rückwirkenden Randdatenerhebung dar. Zwar seien die Fernmeldedienstanbieter (Provider) rechtlich nicht verpflichtet, die Daten länger als sechs Monate zu speichern. Falls die untersuchungsrelevanten Daten beim Internet-Provider noch vorhanden sind, könne jedoch auch eine zeitlich weiter zurückreichende nachträgliche Teilnehmeridentifikation zulässig und geboten sein.“ (E. 4.4)

Das Bundesgericht begründet sein, die Teilnehmeridentifikation der Staatsanwaltschaft genehmigendes Urteil wie folgt:

„Nach dem Gesagten geht es um eine über das Internet begangene Straftat. Insoweit kommt Art. 14 Abs. 4 BÜPF zur Anwendung. Diese Bestimmung geht Art. 273 Abs. 3 StPO als „lex specialis“ vor. Art. 14 Abs. 4 BÜPF sieht keine zeitliche Befristung für die rückwirkende Erhebung von Daten vor. Die von der Beschwerdeführerin am 13. August 2012 verfügte rückwirkende Teilnehmeridentifikation ist daher zulässig.“ (E. 4.8)


Quelle: Urteil des Bundesgerichts vom 22.01.2013, 1B_481/2012

Weiterführende Informationen:

Einschlägige Gesetzesbestimmungen:
Art. 273 Abs. 3 StPO
Auskünfte nach Absatz 1 können unabhängig von der Dauer der Überwachung und bis 6 Monate rückwirkend verlangt werden.

Art. 14 Abs. 4 BÜPF
Wird eine Straftat über das Internet begangen, so ist die Internet-Anbieterin verpflichtet, der zuständigen Behörde alle Angaben zu machen, die eine Identifikation des Urhebers oder der Urheberin ermöglichen.

Art. 15 Abs. 3 BÜPF
Die Anbieterinnen sind verpflichtet, die für die Teilnehmeridentifikation notwendigen Daten sowie die Verkehrs- und Rechnungsdaten während sechs Monaten aufzubewahren.